2008

Nora, oder ein Puppenheim

von Henrik Ibsen

Fotos

Hier gibt es die Bilder zu diesem Stück...

Der Autor

Henrik Johann Ibsen erblickte am 20. März 1828 in Skien als Sohn einer vornehmen Norwegischen Familie das Licht der Welt. Der Bankrott des Vaters, Knut Ibsens, 1836 brachte der Familie finanziellen Abstieg und sorgte dafür, dass die Ibsens gesellschaftlich geächtet wurden. Von 1844 bis 1850 absolvierte Henrik Ibsen eine Ausbildung zum Apotheker. Trotz Einschreibung für ein Medizinstudium 1850 zog es den jungen Ibsen bereits zur Literatur hin. 1850 stellte er sein erstes Werk, das historische Revolutionsdrama „Catilina“ fertig. Jedoch war seine Erstschaffung noch nicht von Erfolg gekrönt. 1851 wurde Ibsen Dramaturg am Nationaltheater in Bergen, 1857 übernahm er die künstlerische Leitung des Norske Teatre in Kristiana (Oslo). 1858 heiratete Ibsen Suzannah Thoresen, eine Pfarrerstochter aus Bergen. Von 1864-1891 lebte Ibsen abwechselnd in Deutschland und Italien. 1906 starb er in Kristiana/ Oslo. Seine Stücke waren zunächst in Versdramen, in der Tradition der norwegischen Nationalromantik. Bald aber erschienen auch Stücke, die die Bürgerliche Doppelmoral des damaligen norwegischen Bürgertums kritisieren.

 

Lea Herzog

Das Stück

„Eine Frau kann nicht sie selbst sein in der Gesellschaft der Gegenwart, einer ausschließlich männlichen Gesellschaft, mit von Männern geschriebenen Gesetzen und Anklägern und Richtern, die über das weibliche Verhalten vom männlichen Standpunkt aus urteilen“ so notierte Ibsen im Oktober 1878 als er an Nora, ein Puppenheim, schrieb. Bei Nora handelt es sich um das zweite realistische Drama Ibsens, in denen er die Widersprüche und Probleme der sich damals in Norwegen entfaltenden Bürgerlichen Gesellschaft aufzeigt. Ibsens Worte umschreiben ziemlich genau den Kern des Dramas. Es geht um eine junge Frau, Nora, die Gattin des aufstrebenden bürgerlichen Bankdirektors und ehemaligen Advokaten Helmer Torvald ist, und deren Leben stets der Vormundschaft und den Weisungen des männlichen Geschlechts, sei es der Vater in ihrer Jugend oder später während ihrer Ehe der Mann, unterworfen war. Nora sitzt gewissermaßen im Goldenen Käfig: Für sie wird gesorgt, dennoch hat sie keinerlei wirkliche Gewalt über ihr Leben. Im Laufe des Stückes realisiert sie, dass es noch mehr für sie geben muss, als das bloße Funktionieren als Frau ihres Mannes und die Darstellung des damals vorherrschenden Bildes einer Frau. Aufgrund eines Schicksalsschlags beginnt sie, die Dinge erstmals selber anzufassen, jedoch als Frau der damaligen Zeit wird ihr die Möglichkeit genommen, genauso frei und straflos zu handeln wie ein Mann. Sie beginnt sich zu fragen, ob die Gesellschaft, in der sie lebt „schlechte Gesetze“ hat und das Verhalten tabuisiert, das gerade ein gesellschaftliches soziales Zusammenleben möglich und gehaltvoll macht. Es ist der Weg einer jungen Frau in die Emanzipation, weg von den Zwängen der Gesellschaft und des privaten Lebens. Es handelt sich hier um die Aufklärung im Sinne Kants: Nora findet den Weg aus „ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit“, sie findet sich selber als Individuum, als Person mit eigenen Ansichten und Gefühlen wieder, die sie zwischenzeitlich aufgegeben hatte. Es bleibt die Antwort auf die Frage zu finden, die sich ihr nun zu stellen beginnt: „Ich muss mich davon überzeugen, wer Recht hat, die Gesellschaft oder ich“.

Zwar hat Ibsen dieses Stück als Gesellschaftskritik seiner Zeit geschrieben, dennoch haben wir die Problematik als noch sehr aktuell empfunden. Bis heute sind die Frage der Emanzipation und die Stellung der Frauen in der Gesellschaft noch nicht ganz eindeutig geklärt. Eine Frau, die Karriere macht wird ebenso kritisiert wie eine Frau, die „nur“ zu Hause bleibt und den Haushalt organisiert und die Kinder hütet. Gerade diese Aktualität haben wir versucht durch unsere Inszenierung zu verdeutlichen. In der ersten Hälfte haben wir das Stück in seinen historischen Kontext eingeordnet, den Konflikt also aus seiner „damaligen“ Perspektive beleuchtet. Im zweiten Teil, der in der Moderne, also irgendwann in unseren Tagen spielt, ist dieser Konflikt keinesfalls eingestaubt, sondern ebenfalls noch lebendig.

Das Stück hat uns alle sehr gefesselt, besonders wegen seiner wirklich jahrhundertealten, übergreifenden, immer noch aktuellen Thematik. Interessant ist, dass trotz all dem Gerede von gesellschaftlicher Entwicklung gewisse Strukturen in der Gesellschaft scheinbar nicht abgelegt werden können.

 

Lea Herzog

Die Rollen

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Nora Helmer, dargestellt von Miriam Klein

Name: Nora Helmer

Beruf: Singlerche, Zeisig, Eichhörnchen und wenn das Kindermädchen frei hat auch Mutter

Versteckte Leidenschaft: Makronen und Table-Dance

Lieblingsbuch: Romeo und Julia

Lebensmotto: „Lieber ein Narr und glücklich, als ein weiser Mensch und unglücklich.“

                                                 Horst Wolfram Geissler

 

„Aber Nora, Nora ist nicht so toll wie ihr alle glaubt!“ Wirklich? Ist die liebe Nora nicht doch manchmal naiv, dumm und schwach? Lässt sie sich nicht immer von anderen herumschubsen und ausnutzen? Oder macht sie tatsächlich allen etwas vor und ist diejenige, die im Hintergrund die Strippen zieht? Benutzt sie ihre mädchenhafte Naivität nur, um alle um den Finger zu wickeln?

Ich glaube sie ist beides. Bei so mancher Probe hätte ich ihr gerne in die Rippe gehauen und ihr gesagt, wie dumm sie sich gerade mal wieder anstelle. Sie solle sich endlich mal gegen all die Männer, die sie immer nur benutzen, Helmer, Krogstad, ihren Vater, auflehnen.

Aber so manches Mal habe ich bewundert auf ihre Worte geschaut. Ich habe ihr Respekt gezollt für die Stärke, die sie hat, ein Leben zu führen, in welchem sie zur Singlerche degradiert, doch mit aller Kraft versucht das Richtige zu tun. Sie hat ihre eigene Ansicht darüber, was das Richtige ist und sie kämpft unermüdlich für ihre Überzeugung. Die Erkenntnis, dass sie eigentlich keine Ahnung hat von der Gesellschaft in der sie lebt, vom Leben an sich und ganz besonders davon, wer sie überhaupt ist, kommt vielleicht spät, aber dass sie den Mut fasst, dies alles endlich kennen zu lernen, bleibt doch bewundernswert.

Nora ist töricht und naiv und nichts weiter als ein Vögelchen. Als ihre unendliche scheinende Hoffnung auf das Wunderbare zerbricht, verliert sie den Glauben daran, aber nicht den Willen etwas an ihrem Dasein zu ändern.

Nora ist viel stärker und klüger, als man vielleicht glauben mag

                                                                          

Miriam Klein  

Torvald Helmer, dargestellt von Florian Kuhn

Name: Torvald Helmer

Beruf: Rechtsanwalt Bankdirektor

Versteckte Leidenschaft: Makronen

Lieblingsbuch: Freiherr v. Knigge, „Über den Umgang mit Menschen“

Lebensmotto: Für die Vergangenheit gibt es keinen Kredit.

 

Mein Name ist Torvald Helmer. Ich bin der neue Direktor der Aktienbank; sehr angenehm Ihre Bekanntschaft zu machen. Darf ich Ihnen eine Zigarre -? Was, Sie rauchen nicht? Nun gut, ich rauche auch nur in Gesellschaft. (Eigentlich ist es mir zuwider.) Wie es meiner Frau geht? Gut, gut! Sie freut sich ja nun auch, dass ihr Mann ein oder zwei Schrittchen auf der Karriereleiter aufgestiegen ist, nicht wahr, hahaha! Nein nein, sie ist wirklich sehr glücklich, und macht es ihr doch so viel Spaß im Haushalt zu werkeln, jetzt in der Weihnachtszeit! Eine Makrone? Ich nehme auch eine… oder zwei. Mhm, lecker. Aber sagen Sie das nicht meiner Nora, ich habe es ihr nämlich verboten! Sie ist aber auch allzu vernascht. Wenn ich nicht immer aufpassen würde, dann… dann… ach, das mag ich mir gar nicht vorstellen. Sie wäre ja ganz verloren. So verpeilt wie sie immer ist! Nein, ich bin aber ja auch froh, dass ich für sie sorgen kann. Stellen sie sich nur vor, die gute müsste alleine mit Geld umgehen! Hahaha! Selbstständig ein Bankkonto einrichten, oder vielleicht sogar einen Kredit aufnehmen! Hahaha! Wie? Nein keine Angst, in die Situation kommt sie nie. War doch nur ein Scherz, natürlich brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen: Nora hat ja mich.

 

Florian Kuhn

 

Christine Linde, dargestellt von Lea Herzog

Name: Christine Auguste Linde

Beruf: Büroarbeiten jeglicher Art

Versteckte Leidenschaft: Wollene Männerschlüpfer häkeln

Lieblingsbuch: Die Bibel

Lebensmotte: Ordnung und Sittsamkeit sind das halbe Leben

 

 

Sie sucht Ihn.

Gut aussehende, arbeitsfreudige Witwe in den besten Jahren sucht Ihn, möglichst mit Kindern, um ein behagliches Heim zu schaffen.

Außer den Fähigkeiten einen Haushalt mühelos zu schmeißen, bringe Ich etliche Jahre an Übung in Büroarbeit mit um Dir bei Deiner, hoffentlich führenden, Position eifrig unter die Arme greifen zu können.

Mit Mir wirst Du eine Menge Freude haben, wobei natürlich das Gebot der Sittsamkeit gewahrt bleibt. Mit meinen weit reichenden Erfahrungen im Leben werde Ich Dich sicher durch den Alltag leiten können.

Entscheide Dich für mich und ein Platz mit dem dazugehörigen Ansehen in der Gesellschaft wird Dir sicher sein.

In freudiger Erwartung Dich endlich kennen zu lernen,

Die Gute Christine

 

Lea Herzog

Nils Krogstad, dargestellt von Thomas Bardenheuer

Name: Nils Krogstad

Beruf: Rechtsanwalt

Versteckte Leidenschaft: Stiftungen in Lichtenstein gründen

Lieblingsbuch: Das Kapital, Kinder aufzuziehen für Dummies

Lebensmotto: Es ist weniger schwierig, Probleme zu lösen, als mit ihnen zu leben.

 

">Heh, Sie! Ja genau Sie! Sie sehen doch aus als könnten Sie ein paar Kronen mehr gebrauchen. Wie das geht? Eigentlich dürfte ich Ihnen das gar nicht sagen, aber Sie sehen mir ganz vertrauenswürdig aus, sie werden es schon nicht weiter sagen. Wollen Sie keine Steuern mehr bezahlen? Geht ganz einfach. Einfach eine Stiftung im Ausland gründen. Sie haben kein Geld? Dann leihe ich Ihnen welches. Ich weiß schon wie das funktioniert. Einfach eine Unterschrift fälschen – habe ich fälschen gesagt? Das haben Sie nicht gehört! So etwas würde ich nie tun. Also wenn jemand nach mir fragt, Sie kennen mich nicht. Wenn das meine Kinder wüssten… Ja, glauben Sie, ich sage meinen Söhnen, was ich tue? Kein Sterbenswörtchen. Sollten Sie auch nicht. Wenn das an die Öffentlichkeit kommt, werden Sie wie ein Ausgestoßener behandelt. Keiner will mehr mit Ihnen zu tun haben. Ihren guten Job sind Sie auch los. Von ganz unten müssen Sie wieder anfangen. Sich Schritt für Schritt hocharbeiten. Ich kann davon ein Liedchen singen. Ja, was glauben Sie, ist mir passiert? Genau deswegen, muss ich mit solchen Berufszweigen mein Geld verdienen. Ist aber bald vorbei. Ich bekomme einen Posten bei der Aktienbank. Den wird mir keiner mehr wegnehmen. Dann ist es vorbei mit solchen ominösen Geschäften.

Und? Wollen Sie einsteigen? Wer sind Sie überhaupt? Klaus? Also gut Klaus, ich werde morgen mit den notwendigen Papieren vorbeischauen. Sie werden sehen, kein Mensch erfährt je etwas davon. Wozu gibt es denn das Bankgeheimnis...

 

Thomas Bardenheuer

Doktor Rank, dargestellt von Talisien Barde

Name: Dr. Rank

Beruf: Arzt für Allgemeinmedizin

Versteckte Leidenschaft: Nüsse, Organtransplantationen, Rasenmähen, Angeln

Lieblingsbuch: Die Gondel der Liebenden

Lebensmotto: Meinen Patienten fehlt nichts, sie haben einfach alles.

 

 

Tja, das nenne ich Ironie des Schicksals. Da opfert man sich nun für die Gesundheit anderer auf und rettet Leben und wird am Ende dafür bestraft. Eine Erkältung wäre ja noch zu verkraften, aber unser Dr. Rank hat die eher seltene Tabes dorsalis, auch Rückenmarkschwindssucht genannt. Sie ist normalerweise eine Spätfolge der Syphilis und kann selbst nach 15 Jahren der Ursprungskrankheit auftreten, indem sich Rückenmarkbahnen langsam auflösen und einzelne Gehirnnerven absterben. Hört sich ekelhaft an, ist aber so.

So gehören Seh- und Gangstörungen sowie schmerzvolle Nervenattacken oder auch Atemknappheit zu den Symptomen, die sich über den Verlauf der Krankheit hinweg in ihrer Intensität steigern bis sie schließlich, solang die Krankheit unbehandelt bleibt, zum Tod führen. Wer da nicht wenigstens ein bisschen Mitleid mit Rank hat, der muss entweder unter etwas schlimmerem leiden oder einfach nur total neben der Kappe sein.

Ich jedenfalls habe Mitleid mit Rank, denn er ist aus meiner Sicht ein toller liebenswürdiger Kerl, wenn man ihn erstmal richtig kennen lernt und ich bewunderte ihn bei jeder Probe aufs Neue, woher er die Kraft nimmt sich mit seinem Schicksal abzufinden und dennoch ab und zu ein müdes Lächeln auf den Lippen übrig zu haben. Denn schließlich ist die Tabes dorsalis ja nicht das einzige worunter er leiden muss…

Lang lebe die Gewissheit! Auch wenn sie manchmal mehr schmerzt als die Unkenntnis.

                                                                                 

Tali Barde    

Das Hausmädchen, dargestellt von Rebecca Lay

Name: Helene

Beruf: Hausmädchen

versteckte Leidenschaft: Heimlich Helmers Hausschuhe tragen

Lieblingsbuch: Der Knigge, 1000 Rezepte der gutbürgerlichen Küche und Das goldene Blatt

Lebensmotto: Selig sind die Dienenden und nicht die sich bedienen lassen

 

Dieses Mal also eine Frauenrolle – es ist lange her, dass ich zum letzten Mal im Rock auf der Bühne stand. Schauspielerisch birgt diese Rolle sicherlich wenig Herausforderungen, nur das eine bleibt spannend: Werde ich es schaffen zu meinen sechs Mini-Auftritten pünktlich hinter der Türe zu stehen? In den Proben ist es mir schwer gefallen, auch deshalb weil ich von meinem Beobachtungsposten aus jedes Mal aufs neue von der Dynamik und Dramatik des Stückes mitgerissen wurde und immer wieder gebannt die Handlung mitverfolgen musste.

Jedenfalls lag bei diesem Stück der Schwerpunkt meiner Arbeit nicht auf meiner eigenen Rolle, sondern darauf durch Ideen, Lob und Kritik im rechten Maß und zur richtigen Zeit, den anderen Schauspieler dabei zu helfen aus sich selbst und ihren Rollen das Maximum herauszuholen.

 

Rebecca Lay

Im Hintergrund

Souffleuse

Katharina Hallet

Regie und Leitung

Rebecca Lay

Florian Kuhn

Licht und Ton

Tobias Böhrs

Programmheft

Thomas Bardenheuer